, Anna Osterkamp-Brändle

Als Karawane unterwegs

Impuls zur Tagung der Wolke des Nichtwissens – Willigs Jäger

Ein Blick in die Medien lässt ahnen, dass es kein gemütlicher Sonntagsspaziergang sein wird, der uns als globaler Karawane bevorsteht. Die Krisen, die unseren Planeten gegenwärtig erschüttern, sind unüberschaubar. Aber Wüstenzeiten, Krisenzeiten bergen nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen zu Neuorientierung und Wandlung. Schon die frühe christliche Überlieferung berichtet von Transformationserfahrungen: Mose empfängt in der Vision des brennenden Dornbuschs die Botschaft „Ich bin der Ich-bin“, ein Ruf an das Volk Israel, Vielgötterei aufzugeben und den einen, immer gegenwärtigen Gott zu verehren. Johannes der Täufer ruft zu Umkehr und Wandlung auf; auch Jesus verbringt 40 Tage in der Einsamkeit und wird mit den Schatten des inneren Weges konfrontiert; und im 3./4. Jahrhundert ziehen Wüstenväter und -mütter in die Stille der Wüste, um sich ganz dem inneren Weg zu widmen. Von ihnen sind detaillierte Anleitungen zum mantrischen Beten und zur Bewältigung der Hindernisse überliefert, die sich während des inneren Prozesses unweigerlich einstellen. Hoch aktuell ist der Text des Dionysius Areopagita, der die Frage nach der Entstehung des Lebens überhaupt stellt: „Die erste Ursache von allem ist weder Sein noch Leben, denn sie ist es ja gewesen, die Sein und Leben erst geschaffen hat…“, verkündet er. Trotz aller digital gespeicherter Datenmengen und Künstlicher Intelligenz forscht die moderne Wissenschaft auch heute noch nach dieser „ersten Ursache“, dem „Urknall“, der nach heutigem Wissensstand unser Sonnensystem ins Leben gerufen hat.

Das Bild der Karawane, das Willigis Jäger gerne benutzte, hat eine starke Aussagekraft. Da findet sich eine Gruppe von Menschen und Tieren zusammen, meist schwer beladen mit Schätzen, die ihnen lebensnotwendig erscheinen. Gemeinsam wollen sie eine lebensfeindliche Landschaft durchqueren, die dem Auge statt vorgegebener Wege und bequemer Straßen nur Weite, Sand und Felsen anbietet. Es braucht einen Führer, einen Kundigen, der den Weg bereits gegangen ist, der ihn kennt und die Gabe hat, andere mitzunehmen und zu begleiten auf ihrer Suche. Für die meisten Lehrerinnen und Lehrer der „Wolke“ war und ist Willigis dieser Kundige.

Auf der Basis der mystischen Tradition des Christentums und der Weisheitslehren des Ostens hat Willigis ein Vermächtnis hinterlassen, das er in seinem Spätwerk „Jenseits von Gott“ in der berührenden Aussage „Mein Bekenntnis“ zusammenfasst: „Das EINE ist meine wahre Natur und die Natur aller Wesen…“ Für dieses große und kostbare Erbe soll ein verbindlicher Bezugsrahmen erarbeitet werden, der die Identität der Lehren wahrt und dennoch offen bleibt für Weiterentwicklung und Deutung der mystischen Erfahrung. Das ist die Aufgabe, der sich die Leitung der „Wolke“ seit gut drei Jahren stellt und mir will scheinen, dass sich ihre Arbeit wie ein kleines Puzzlesteinchen in die Suche nach Lösungsansätzen aus der globalen Krise einfügt.

„Es macht die Wüste schön, dass sie irgendwo einen Brunnen birgt“ (Antoine de Saint-Exupéry). Wir wissen um diesen Brunnen. Wir ahnen die Richtung, in die er ruft. Machen wir uns auf den Weg – gemeinsam - Schritt für Schritt und Atemzug für Atemzug!


 

Anna Osterkamp-Brändle

Lehrerin der Kontemplationslinie Wolke des Nichtwissens – Willigis Jäger.                                                        

Nach Jahren der Assistenz bei Willigis und eigenen Kursen genießt sie inzwischen den Ruhestand in Holzkirchen