Angebunden sein an das Göttliche – dankbar, dankbar, dankbar!
Als mir Cornelia Uhrig vor vielen Jahren in unserer Regionalgruppe erstmals begegnete, war ich leicht eingeschüchtert von der schier unbändigen Lebendigkeit dieser großen, geschmackvoll gekleideten Frau mit den langen schwarz-grauen Locken. Dass ihr starker Lebensausdruck einhergeht mit einer ungeheuer vielseitigen Selbstwirksamkeit, durfte ich beim näheren Kennenlernen erfahren – Respekt!
Cornelia ist in Aschaffenburg ansässig, wo sie auch aufwuchs. Als Kind kriegstraumatisierter Eltern war ihr deren Liebe zwar stets bewusst, doch Vater und Mutter waren zu sehr belastet, um sich intensiv zu kümmern. Scheußlich nennt sie ihre Kindheit, weil sie eine Außenseiterin war, sich zunächst in der Schule schwertat und eine gehasste Brille trug. Als sensibles Kind spürte sie genau die innere Verfasst-heit ihrer Mitmenschen, besonders die Spannung der Mutter, um deren Leben sie sich berechtigte Sorgen machte. Von klein an wollte sie Pfarrerin werden, dazu empfand sie eine deutliche Berufung. Seit sie denken kann, stand sie in Verbindung mit etwas Größerem, wofür sie als Kind getadelt wurde, wenn es hieß: „Sie schaut wieder Löcher in die Luft“. Auch später, als Jugendliche in den wilden 70ern, blieb sie dieser Verbindung treu und kombinierte wildes Leben mit Frömmigkeit, weshalb sie nie in den jeweiligen Kreisen aufging. Für die Kirche war sie zu wild und für die Jugendlichen um sie herum zu brav.
Cornelia stammt zwar aus einem katholischen Elternhaus mit einer kirchlich engagierten Familie, dennoch stellt sie fest: „Die Kirche war nie gut zu mir. Trotz meines glühenden Glaubens, durfte ich nie Messdienerin sein und später hat der Pfarrer mein Ziel vereitelt Pastoralreferentin zu werden.“ Zunächst rieten die Eltern ihr beruflich zu etwas Handfestem: Industriekauffrau. Später holte sie das Abi nach und studierte Sozialpädagogik. Hier zeichnete sich bereits Cornelias zukünftiges Betätigungsfeld ab: „Seit 1994 arbeite ich freiberuflich in einem Bereich, der sich mit Menschen in schwierigen Lebenslagen befasst. Dabei beschäftigt mich die Frage: Wie kann Leben gelingen im Angesicht der Wider-stände, die ein jedes Dasein hervorbringt?“ Diese Frage bewegt sie bis heute und ist die Triebfeder, sich immer weiter zu bilden.
Doch das Leben hielt erst noch eine andere Aufgabe für sie bereit. Denn gleich im ersten Semester wurde sie schwanger, heiratete mit einundzwanzig und bewältigte ihr Studium, während sie zwei weitere Kinder auf die Welt brachte. Als das jüngste ihrer drei Mädchen drei Jahre alt war, machte sie ihr Anerkennungsjahr, dann wurde das vierte Kind geboren. Diese Lebensphase schildert sie so: „Ich hatte hohe Ansprüche an einen guten Start für meine Kinder. Viel liebevolle Fürsorge, gesundes Leben mit Bio-Essen, selbst gesammelten Kräutertees und hausgebackenem Brot. Das war eine sehr erfüllte, aber auch anstrengende Zeit!“
Durch diese und spätere Krisenzeiten trug sie das Herzensgebet. Sie erlernte es von einem russischen Starez, den sie mal als Gast im Haus hatte, und bekennt: „Seitdem läuft das unentwegt innerlich in mir.“ Damals habe sie noch gar nichts über Kontemplation oder mystische Wege gewusst, aber die durch das Herzensgebet gewonnene Präsenz schon bei ihren ersten Klienten angewandt.
Sie saß in den Startlöchern, um endlich richtig beruflich loszulegen. Da sie aber als Sozialpädagogin keine Stelle fand, erfüllte sie sich den Herzenswunsch Theologie zu studieren. Das bedeutete um vier Uhr morgens aufstehen und Latinum und Graecum pauken. Parallel dazu machte sie eine Ausbildung zur Supervisorin und zum Coach mit vielen Praxisanteilen. Dann suchte sie sich Klienten für die personenzentrierte Beratung und bot auch für ein Unternehmen Management-Kurse an – damit machte sie sich selbstständig.
Jahrelange wirtschaftliche Nöte, verursacht durch ihren damaligen Ehemann, und die damit verbun-denen inneren und äußeren Spannungen mündeten in einem völligen Erschöpfungszustand und einer chronischen Darmerkrankung. Diese brachte sie schließlich in eine lebensgefährliche Situation, aus der sie mit einer Nahtoderfahrung hervorging.
Als ihre Ehe nach 22 Jahren zerbrach, stand Cornelia mit Anfang vierzig, wie so viele Frauen in dieser Lage, vor dem Nichts. Sie verlor das Haus, hatte kein Geld und keine Altersvorsorge. Sie zog mit den drei Jüngsten in eine einfache Stadtwohnung und ist seither nicht nur praktisch, sondern auch
finanziell auf sich allein gestellt. Sie nahm das Theologiestudium wieder auf und baute ihre Selbstän-digkeit aus, indem sie Seminare zu den sog. Softskills anbot, dazu Supervision, Coaching, Personal-entwicklung, an den Wochenenden Familienseminare und Achtsamkeitskurse. Um diese Tätigkeit zu unterfüttern, absolvierte sie noch den Heilpraktiker für Psychotherapie. Eine ihrer mündlichen Prüfungen in Theologie legte sie mit 49 Jahren über Die Welle ist das Meer von Willigis Jäger ab. Als sie sich nach dem Theologiestudium als Personalreferentin in der Kirche bewarb, hieß es, sie sei zu alt.
Daraufhin fasste sie den Entschluss, keinen Posten in der katholischen Kirche mehr anzustreben, sondern überkonfessionelle Seelsorgerin zu sein. Mit ihren umfangreichen Abschlüssen eröffnete sie eine psychotherapeutische Praxis, die sie „Entwicklung für Personal und Leben“ nannte. Cornelia arbeitet in ihrer Praxis mit Einzelpersonen, Paaren, Menschen auf der spirituellen Suche, sowie als Supervisorin für Teams. Sie leitet Fort- und Weiterbildungen, unterrichtet klassische Gesprächs-führung, wendet Hypnose und EMDR an. Inzwischen ist sie seit 25 Jahren freiberuflich tätig, wobei ihr Wirkungskreis Kliniken, Altenheime, Sozialämter und Einzelklienten sind. Sehr gefragt ist sie auch bei Jugendämtern, wenn es um psychische Erkrankungen von Elternteilen oder Kindern geht.
Zu ihren Tätigkeiten gehörte 22 Jahre lang die Ausbildung in Kommunikation und Gruppenarbeit aller Diakone der Diözese Würzburg und Bamberg. Als diese vor Jahren von einem unmöglichen Sekten-führer erzählten, dessen Bücher sie allerdings kannte, wurde sie neugierig und machte einen Kurs bei Willigis Jäger. Sie genoss die Stille und Willigis überzeugte sie. Er wurde ihr ein Vorbild darin, ein ganz normaler Mensch zu sein - mit seinen Schattenseiten - doch bewusst. Einer der wirkt, ohne sich dar-stellen zu müssen. Seit 14 Jahren findet in ihrer Praxis jeden Freitag Kontemplation mit einer kleinen Gruppe statt und sie hält seit einiger Zeit Kontemplationskurse auf dem Sonnenhof im Schwarzwald.
Die nunmehr 64jährige Cornelia Uhrig kann sich ihr Tun nicht ohne die stetige Arbeit an sich selbst vorstellen und betrachtet Schattenarbeit für sich als unabdingbar, daher geht sie selbst in Supervision und lässt sich hinterfragen. Doch das Wichtigste, betont sie in unserem Gespräch immer wieder, sei ihre Anbindung an das Göttliche als Fundament, „das alles durchdringt und mich durchdringt, sonst könnte ich niemals diese Arbeit machen.“ Ohne regelmäßiges Gebet und Meditation würde sie das nicht schaffen, erklärt sie unumwunden und ich frage mich, ob es überhaupt eine Trennlinie gibt zwischen Cornelias und unser aller Selbstwirksamkeit und dem göttlichen Wirken auf Erden. Sie beschreibt ihren Auftrag so: Sie habe erkannt, dass alle Menschen eine riesige Kraft in sich haben und fühle sich als Hebamme, um das Heilwerden und Heilige im Menschen zu stärken und zu fördern. Sie liebt ihre Arbeit und will sich erfüllen lassen mit allem, dafür macht sie sich in Gebet und Kontemplation leer. „Ich kann – und darf – meine Berufung in meiner Arbeit leben!“
Elisabeth Müller