, Andreas Speth

Dieses Gebet ist ein sanftes Tun

Von innen heraus verändert werden

Bei der diesjährigen Tagung und Fortbildung zum Centering Prayer hat mich das Wort gentle sehr berührt. Immer wieder tauchte es auf. Die ersten Zeilen vom »Willkommensgebet« lauten: »Gently become aware of your body and your interior state. Behutsam werde dir deines Körpers und deines inneren Zustandes bewusst.« In den Anleitungen zum Zentrierenden Gebet heißt es: »Wenn du von deinen Gedanken abgelenkt wirst, kehre behutsam zum Heiligen Wort zurück.« An anderer Stelle sagt Thomas Keating: »Dieses Gebet zu üben ist kein Nichtstun. Es ist ein sanftes Tun.«

Wie kommt es, dass mich das Wort gentle so berührt? Allem Anschein nach ist das sanfte und behut- same Tun bisher nicht die vorherrschende Art, wie ich mir selbst begegne. Von meiner Kontempla- tionslehrerin Luitgard Tusch-Kleiner habe ich noch die Erzählungen im Ohr, wie streng ihre Sesshins bei Pater Hugo Lassalle anfangs waren. Ihr wurde es wichtig in das christliche Zen, wie es damals hieß, die Leibarbeit mit einfließen zu lassen. Nicht mehr nur zu sitzen, egal wie stark die Schmerzen sind. So habe ich es von ihr kennengelernt und übernommen. Auch die Anleitung, wenn die Gedan- ken abschweifen, zu meinem Wort oder zum Atem zurück zu kehren. Ja, und jetzt höre ich bei Thomas Keating: »Tue es gently, tue es behutsam!« Das berührt meine Seele.

Die zentrale Aussage von Jesus ist für mich: »Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.« Hier wird die             2

Liebe zur Grundlage der Begegnung mit sich selbst und mit anderen Menschen. Wie geht das, sich

selbst und anderen in Liebe zu begegnen? Die Voraussetzung ist ein freundlicher, behutsamer, sanfter, liebenswürdiger Umgang mit mir selbst. Alle genannten Adjektive sind mögliche Übersetzun- gen von gentle!

Es ist leichter mit sich freundlich umzugehen, wenn alles »richtig« und »gut« läuft. Schwierig wird es, wenn wir scheitern oder mit Problemen und Leid konfrontiert werden. Dann entstehen auch oft beim Meditieren automatisierte, abwertende und beurteilende Gedankenmuster. Dies erfordert beson- dere Wachheit. Nimm es wahr, aber beschäftige dich nicht damit. Und kehre wieder zu deiner Übung zurück. Ich darf es behutsam tun, ohne Anstrengung. Genauso ist es, wenn schwierige Gefühle auf- tauchen. Nimm sie wahr und lasse sie behutsam wieder gehen. Eine weitere große Herausforderung beim Meditieren sind beim Sitzen auftauchende körperliche Schmerzen, die so stark werden können, dass wir glauben, sie nicht mehr aushalten zu können. Glücklicherweise geschieht dies bei mir nicht oft. Was hilft mir in solchen Situationen? Ich lasse meinen Atem sanft an diese Stelle fließen und ver- suche wieder in meine Übung zurückzukehren. Und, ohne dass ich es bewusst wahrnehme, ist irgend- wann der unerträgliche Schmerz erträglich geworden oder hat sich ganz aufgelöst.

Jeder Augenblick, in dem wir mitfühlend und liebevoll mit uns selbst sind, verändert uns von innen heraus.

 

Andreas Speth

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Kontemplationslehrer WFdK und WdG