, Kristina Kieslinger

Gewöhnliches Leben – außergewöhnliche Liebe

Die Mystik des Alltags bei Thomas Keating

Die Referentin der diesjährigen Tagung, Prof. Dr. Kristina Kieslinger, berichtete zunächst aus dem Leben Thomas Keatings, der 1923 in New York geboren, als Trappistenmönch in den USA lebte. Das 2. Vatikanische Konzil hatte sein Anliegen bestärkt, spirituelle Inhalte der christlichen Tradition Menschen auch außerhalb des Klosters zugänglich zu machen. Im Rückgriff auf die spätmittelalter- liche Schrift der »Wolke des Nichtwissens« entwickelte er mit zwei weiteren Trappisten eine kontemplative Gebetsform, die sich später »Centering Prayer« nannte und sich in den Vereinigten Staaten in Einkehrtagen und Workshops verbreitete. Dafür übten die Brüder zunächst selbst TM und nahmen Impulse aus östlichen Meditationspraktiken auf. Sie beschrieben die Wirkungsweisen mit Konzepten der damaligen Psychologie, standen in freundschaftlicher Beziehung zu Ken Wilber, arbeiteten z.T. mit dem Enneagramm und kooperierten mit den Anonymen Alkoholikern mit ihrem 12-Schritte-Programm. Thomas Keating veröffentlichte zahlreiche Bücher. Darin warnte er, dass Meditation zu einem erstklassigen Betäubungsmittel werden könne. Es gehe aber im Gegenteil darum, das Leben und die Gesellschaft mit zu gestalten.

Am Samstagvormittag führte uns die Referentin durch die Fragen »Was ist Alltag?« und »Was ist Mystik?«, um am Nachmittag die Frage »Was ist Liebe?« aufzugreifen. Es gab ausreichend Raum für Rückfragen und Austausch im Plenum, für kleine Übungen sowie für das Gespräch in Kleingruppen.             3

Beeindruckt waren die Teilnehmenden von der Offenheit Keatings. Den Alltag vergleicht er mit einem Stummfilm. Wenn wir in die kontemplative Dimension eintauchen, komme eine Dimension dazu wie eine Tonspur, die alles lebendiger und verständlich macht. Dabei versteht er die verschiedenen Zugänge der christlichen Mystik nicht als sich ausschließend. Vielmehr beantwortet er die Fragen nach einem rationalen oder emotionalen Zugang, einer gegenständlichen oder ungegenständlichen, einer personalen oder nicht-personalen Gotteserfahrung mit einem »Sowohl als auch«: Gott könne sich in allem zeigen, sagt Keating. Er ist »Das, was ist« (that, what is) und gleichzeitig der Vater Jesu Christi. Im Nicht-Festhalten und -Besitzen (non-possessiveness) der Konzepte und des jeweiligen Ausdrucks der Gotteserfahrung entfaltet sich ein prozesshaft-dynamisches Gottesbild, das immer neu die Nicht-Identifikation von uns fordert – zuletzt auch die Nicht-Identifikation mit der Nicht-Identifi- kation.

Zentral ist für Keating allerding die Liebe als Wesen Gottes und als unser wahres Wesen. Die Ursache der ungerechten und krankmachenden Strukturen unserer Gesellschaften sieht er in der Illusion, voneinander getrennt zu sein und im Festhalten an den eigenen Egomustern. In der Praxis des zentrierenden Betens werden die eigenen Prägungen und Identifikationen bewusst und es wird möglich, über sie hinaus zu gehen: in ein »com-pan-ioning«. In diesem Ausdruck erkennt Keating das Wort pane, Brot. Im Ritual der Eucharistie wird das gemeinsame Essen von Brot zum Akt, Leben und damit auch Leiden miteinander zu teilen. Es erfordert von uns, »den Mund auf zumachen« – im Empfangen von geschenktem Leben, aber auch als Positionierung im Eintreten für diejenigen, die zu Opfern wurden.

Nach der Einführung in die Lehre Thomas Keatings folgte die Einführung in die Praxis des Centering Prayer, das im Deutschen auch als »Gebet der Sammlung« übersetzt wird. Zur Sammlung kann die Beachtung des eigenen Atmens dienen oder ein innerer Blick (inward glance) auf die Göttliche Präsenz. Vor allem jedoch wird ein kurzes Wort empfohlen, das zum »Symbol« wird für die »Intention, der Präsenz und dem Wirken Gottes im eigenen Inneren zuzustimmen«. Jedes selbst gewählte, gewöhnliche Wort wird dadurch für die bzw. den Betenden zum »Heiligen Wort«.

Das Centering Prayer führt in das kontemplative Gebet, in das »Ruhen in Gott«. Keating grenzt es jedoch auch von einer Technik ab, wenn er sagt, es gehe nicht um »attention« (Aufmerksamkeit), sondern um »intention« (Absicht). Auf Nachfragen und Widerspruch der Teilnehmenden zu der Vorstellung, »absichtsvoll« zu meditieren, war die Referentin vorbereitet und lud zu einer Arbeit in Zweierguppen ein. In ihr suchten die Teilnehmenden abwechselnd in einem Monolog und dem anschließenden Austausch Antworten auf die Frage: »Mit welcher Intention gehe ich in die Stille?«.

Die Übung machte deutlich, dass jeder kontemplativen Praxis der Entschluss vorausgeht, das eigene Tun und Wollen zurückzulassen und eine Haltung der Offenheit einzunehmen. Sie ist Zustimmung (consent) zu dem, was in umfassenderer Weise heilsam im eigenen Inneren geschieht.

Signet der von Keating gegründeten Organisation »Contemplative Outreach«

 


Prof. Dr. Kristina Kieslinger promovierte zu Thomas Keating und lehrt an der Katholischen Hochschule Mainz zu Spiritualität und Ethik. Sie praktiziert selbst Kontemplation.

Der Vortrag von Prof. Kristina Kieslinger ist in überarbeiteter Form hier auf der Website der WFdK eingestellt.

Die beiden Bücher von Thomas Keating, die ins Deutsche übersetzt wurden, sind z.Zt. nur antiquarisch erhältlich. Informationen in Deutsch finden sich unter www.centering-prayer.org und www.contemplativeoutreach.org/de/ und bei Youtube vor allem auf dem Kanal coutreach.

Ein Faltblatt mit einer komprimierten Anleitung zur Praxis des Centering Prayer (»cp-german-8.pdf«) kann unter www.centering-prayer.org/materialien/ heruntergeladen werden.